Besondere Merkmale der ayurvedischen Pharmakologie

„Welche besonderen Merkmale weist die ayurvedische Pharmakologie auf? Welchen Stellenwert besitzt sie im Gesamttherapiesystem der Ayurveda-Medizin?“

Wenn ich als Kind erkältet war, hat mein Grossvater mir einen Tee aus Thymianblättern aus seinem Garten abgekocht und abends gab es von der Mutter noch eine heisse Milch mit Honig. Wenn ich nicht Einschlafen konnte legte sie ein Säckchen mit Lavendel neben das Kopfkissen und reichte mir einen Melissen Tee mit Baldrian und Hopfen Tropfen.

Kommt euch dies ebenfalls bekannt vor?

Schon seit vielen Jahrhunderten (oder Jahrtausenden) weiss der Mensch die Substanzen der Natur für sich zu nutzen und gibt diesen Erfahrungsschatz von Generation zu Generation weiter. Sei dies zur Linderung von Krankheiten oder aber auch zur Erhaltung der Gesundheit.
Die Wirkstoffe der Substanzen werden in den verschiedenen Ländern und Kontinenten erforscht und auf unterschiedlichste Weise eingesetzt. So hat jede Kultur ihre eigene Pharmakologie mit unterschiedlichsten Merkmalen.
Der Begriff Pharmakologie stammt aus dem 19. Jahrhundert (1) und bedeutet: „die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen und Lebewesen (biologische Systeme)“ (2).

 

Die Merkmale der ayurvedischen Pharmakologie

Die ayurvedische Pharmakologie wird im Sanskrit (3) Dravya-guna-karma-vijñãna genannt. „Das Wissen (vijñãna) von den Substanzen (dravya) innewohnenden Eigenschaften (guna) und deren Wirkung (karma) auf den menschlichen Körper“ (4). Der Ayurveda besagt, dass wir jegliche Substanzen als Heilmittel verwenden können, wenn die Verarbeitungsform oder Kombination die Richtige ist. Auch giftige Stoffe werden verabreicht, mit dem Wissen um Umwandlung und Detoxifikation (5).

„Es existiert keine Substanz, die nicht therapeutisch eingesetzt werden könnte“ (Atreya)(6)

Das ayurvedische Heilsystem besteht schon seit vielen tausend Jahren. In dieser Zeit wurden tausende von Pflanzen, Substanzen, Wirkstoffe und Kombinationen erforscht, getestet und in den alten vedischen Texten erfasst. Das wichtigste Werk für die dravya-guna-karma-vijñãna hat Kanada (7) verfasst, das „Vaisesika-sutra“(8).

Aber die Pflanzen wurden seit jeher in allen Lebensbereichen eingesetzt: Zum Essen, für Kosmetik, Kleider, Seifen etc.

In der folgenden Abhandlung wird eine kurze Zusammenfassung gegeben, wie die ayurvedische Pharmakologie aufgebaut ist und nach welchen Grundsätzen therapiert wird.

 

Pharmakologie und ayurvedische Heilkunde

Der wichtigste Aspekt in der ayurvedischen Heilkunde besteht darin, dass der Ayurveda den Menschen als Ganzes, als ein Teil des Universums betrachtet. Der Mensch wird als Körper, Geist und Seele wahrgenommen und in die Relation zur natürlichen Umgebung gesetzt mit den Jahreszeiten, Tageszeiten, Klima, soziales Umfeld und Ernährungsgewohnheiten.

Bei der Behandlung von Krankheiten steht der Mensch als ganzes im Vordergrund und es wird zuerst die Ursache gesucht, Symptome bestimmt und dann erst die therapeutischen Massnahmen ausgewählt. Dies sind auch die drei Hauptprinzipien welche als Trisutra-Ayurveda bezeichnet werden.

Behandelt wird dann nach dem Ansatz der rationalen Therapie (Yuktivyapasraya) welche in folgende Bereiche unterteilt wird: Vermeidung der Ursachen, Reinigung (äusserlich, innerlich, chirurgisch) und Besänftigung (Ernährung, Verhalten, Medikamente).

In der klassischen Medizin wird nur direkt die Krankheit an sich behandelt. Der Bezug zur Natur oder die Individualität des Patienten wird nicht in die Behandlung mit einbezogen.

Dravyas und ihre Energetik

In der rationalen Therapie werden zur Besänftigung Medikamente erwähnt. Damit ist die ayurvedische Pharmakologie (dravyaguna) gemeint.

Ein wichtiger Aspekt in der Verwendung der Dravyas (Substanzen) ist deren Energie und Eigenschaften. Sie werden eingeteilt in:

  • deren sechs Geschmacksrichtungen (rasa) welche direkt wahrnehmbar sind: süss, sauer, salzig, scharf, bitter, herb. In einer Dravya sind normalerweise immer mindestens zwei rasas oder mehr vorhanden.

  • deren Eigenschaften (guna) welche nicht unbedingt wahrnehmbar sind. Diese werden unterteilt in 10 Paare (gurvadi-guna) wovon 4 Paare meist hervorgehoben werden (schwer-leicht, kühlend-erhitzend, feucht-ölig-trocken, mild- scharf)

  • deren Wirkung nach der Verdauung (vipaka). Für das Vipaka sind nur drei Rasas relevant: süss und salzig wird zu süss, sauer bleibt sauer und scharf, bitter und herb werden zu scharf.

  • deren Energie (virya) was auch thermische Potenz genannt wird und aus erhitzend oder kühlend besteht. Die Rasas werden auch hier unterteilt: scharf, sauer und salzig wirken erhitzend und süss, herb und bitter wirken kühlend auf den Körper.

  • deren spezifische pharmakologische Wirkung (prabhava). „Heilpflanzen besitzen subtilere und spezifischere Kräfte, die den Verstand transzendieren und nicht in ein energetisches System eingeordnet werden können. Mit Prabhava wird die besondere Wirkung einer Heilpflanze bezeichnet, ihre Einmaligkeit jenseits der allgemeinen Regeln“ (9).

  • deren eigentliche Wirkungen (karma) auch genannt als: „Reaktion eines Organismus auf eine Substanz“ (10)

Die Grundlage oder Basis dieser Einteilung bilden die fünf Elemente (pañca- mahabhutas), denn „der Geschmack einer Substanz entsteht nicht zufällig, vielmehr steht er in direkter Beziehung zu seiner elementaren Zusammensetzung. Es sind immer zwei Elemente, die in einer Geschmacksrichtung vorherrschen“ (11).

Die fünf Elemente

Unser Universum und unsere Welt besteht aus den fünf Elementen: Raum, Luft, Feuer, Wasser und Erde. Alle Materie, auch der der Mensch, besteht aus diesen fünf Elementen.
Gemäss der Sankhya-Philosophie wird die Urmaterie „Prakriti“ genannt und deren Struktur entsteht aus den drei Eigenschaften (Gunas) Sattva, Rajas und Tamas. (12). Aus diesen drei Gunas entstehen auch die fünf Elemente.

Da alle fünf Elemente in uns vorhanden sind, stellen sie einen wichtigen Aspekt für unsere Gesundheit dar. Denn wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten, kann dies schnell zu Beschwerden oder Krankheiten führen.
„Bei den Pflanzen unterscheidet der Ayurveda fünf elementare Teile (pancangam), welche die Beziehung der Pflanzenstruktur zu den fünf Elementen aufzeigt. Die Wurzel entspricht der Erde, Stängel und Verzweigungen entsprechen dem Wasser, die Blüten dem Feuer, die Blätter der Luft, die Frucht dem Äther und der Samen enthält alle fünf Elemente in sich.“ (13)

„Die fünf Elemente bilden die Grundlage des Ayurveda, aus denen sich auch die drei Doshas ergeben: Vata ist Raum und Luft, Pitta ist Feuer und Wasser, Kapha ist Wasser und Erde.“ (14)

Doshas, Dravyas und Krankheiten

Eines der Konzepte der ayurvedischen Therapie ist das Gleichgewicht der Doshas zu erhalten oder wieder her zu stellen gemäss der eigenen Prakriti. „Der Ayurveda bedient sich verschiedenster Methoden. Neben speziellen konstitutionsgemässen diätetischen Massnahmen und den Behandlungen des Pancakarma sind dies vor allem pflanzliche Arzneien. Denn die Phytotherapie ist tonangebend im ayurvedischen Behandlungskanon.“(15)

Bei allen Dravyas steht immer auch die Wirkung auf die Doshas im Vordergrund. Der Dravya, oder einer Heilpflanze, selbst kann auch ein Dosha zugeteilt werden, z.B. eine üppige Pflanze mit viel Saft stellt eine Kapha-Dravya dar, wird daher in der Therapie eher nicht für Kapha Problematiken eingesetzt.

Für den Therapeuten ist es wichtig zu wissen, welche Doshastörung die jeweilige zu behandelnde Krankheit auslösen kann, über welche Grundkonstitution (prakriti) die zu behandelnde Person verfügt und welche Ursachen und Symptome vorliegen. Denn mit einer guten Anamnese kann auch die passende Dravya zur Therapie ausgewählt werden. Im Wissen welche Dravyas welche Doshas erhöhen, senken oder nicht tangieren und in welchem Kriyakala-Stadium (sechs Krankheitsstadien) welche Dosis oder welche spezifische Dravya gegeben werden sollte.

Im Trisutra-ayurveda ist der erste Punkt Hetu (Krankheitsursache), welcher der Auslöser einer Erhöhung der Doshas darstellt. Es ist am einfachsten, wenn so früh wie möglich hier schon mit Ernährung, Dravyas, Verhalten etc. eingegriffen werden kann.
Der zweite Punkt des Trisutra-Ayurveda sind die Symptome. Dieser Punkt ist wichtig um dieses Stadium der Kriyakala zu erkennen. „Diese beinhalten die verschiedenen Stadien abnormaler Dosha-Aktivität und bilden zusammen den Prozess der Krankheitsentstehung. In diesen Stadien bietet sich noch die Gelegenheit für eine therapeutische Intervention bevor ernsthafte, möglicherweise irreparable Schäden im Körper entstehen (Stadium 6. Bheda).“ (16)

Gesamtheraphiesystem

Die Pharmakologie besitzt im Gesamttherapiesystem der Ayurveda-Medizin einen sehr hohen Stellenwert, da sie in allen drei Teilen der rationalen Therapie eingesetzt wird. In der Vermeidung der Ursachen z.B. durch spezifische Kräuter in der Ernährung, tägliche Einnahme von Rasayanas oder richtige Stimulation des Agnis mit diversen Dravyas.. In der Reinigung z.B. durch Massagen mit medizinierten Kräuterölen oder durch Virecana (Darmreinigung) mit abführenden Kräutern. In der Linderung z.B. durch Heilmittel und Ernährung.

Und auch da die Pharmakologie direkt auf das wichtigste Konzept der Ayurveda- Therapie eingreift: Das Tridosha-System.

Die Behandlung mit Dravyas fängt schon bei der Gesundheitsprävention an. Mit diversen Dravyas (auch als Kräuter und Nahrungsmittel) wird schon die Entstehung von Krankheiten vermieden durch die Stärkung der Immunität. Wodurch die klassische Pharmakologie nur gezielt auf Krankheiten heilen und Symptome bekämpfen ausgerichtet ist.

Ein wichtiger Aspekt ist natürlich die Einteilung der Dravyas in ihre Energetik durch die genaue Analyse derer Eigenschaften und spezifischen Wirkungen. Der Bezug der Substanzen (dravyas) zu den Doshas und somit zu den fünf Elementen ist elementar und so ergibt sich ein Kreis wo alles in Interaktion miteinander steht.

Denn auch ein besonderes Merkmal der ayurvedischen Pharmakologie ist, dass der Mensch als Teil der Natur und des Universums im Mittelpunkt steht und so auch zu einem Teil der Dravya wird. Denn alle Materie entsteht aus den fünf Elementen. = Alles ist EINS!

Links
(1) https://www.tu-braunschweig.de/ipt/spezielles/pharmakologie
(2) https://flexikon.doccheck.com/de/Pharmakologie
(3)  Sanskrit: Sprache der Veden im Alt-Indien http://www.buddhismus.dogmai.de/sanskrit.html
(4)  Srikanta Sena, Ayurveda Materia Medica, 2007, S.1
(5)  Detoxifikation: Entgiften http://de.wikipedia.org/wiki/Entgiftung
(6)  Punarvasu Atreya, ein Weiser Indiens (http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/ayurveda-wort-fur-wort/10/neste/128.html)
(7)  Kanada: Hinduistischer Philosoph (http://www.hinduismus.de/main philosophie.htm)
(8)  Vaisesika-sutra, ist eines der sechs klassischen Systeme der indischen Philosophie (Wikipedia)
(9)  V. Lad+D.Frawley, die Ayurveda Pflanzenheilkunde, 2013, S. 56
(10)  H.H.Rhyner, Das neue Ayurveda Praxis Handbuch, 2011, S.206
(12) http://wiki.yoga-vidya.de/Prakriti
(13) V. Lad+D.Frawley, die Ayurveda Pflanzenheilkunde, 2013, S.31
(14) V. Lad, Lehrbuch des Ayurveda, Band I, 2012, S.17
(15) H.H.Rhyner+B.Frohn, Heilpflanzen im Ayurveda, 2006, S.13, Heilpflanzen im Ayurveda, 2006 Rosenberg gGmbH, Skrip „Grundlagen des Ayurveda“, 2012
(16) Rosenberg gGmbH, Skrip „Grundlagen des Ayurveda“, 2012, S. 1-141

Literaturverzeichnis
Srikanta Sena, Ayurveda Materia Medica, 2007
V. Lad+D.Frawley, die Ayurveda Pflanzenheilkunde, 2013
V. Lad, Lehrbuch des Ayurveda, Band I, 2012
H.H.Rhyner, Das neue Ayurveda Praxis Handbuch, 2011 H.H. Rhyner+B. Frohn(11) H.H.Rhyner, Das neue Ayurveda Praxis Handbuch, 2011, S.194

 

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